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...und jenseits des Individuellen

Nicht immer beschäftigt sich die Rechtsordnung nur mit der Regelung und Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Staatsbürger untereinander, wie dies im so genannten „Privat-“ oder „Zivilrecht", dem klassischen "bürgerlichen Recht" der Fall ist. Eine der großen, unverwechselbar demokratischen und rechtsstaatlichen Aufgaben der Anwaltschaft ist auch die Wahrnehmung der Interessen des Einzelnen gegenüber vor- und übergeordneten, wenn auch durch die Verfassung eingesetzten, Institutionen.

Selbst der aufgeklärte moderne Staat mit seiner Gewaltenteilung ist immer in Gefahr, aus den Fugen zu geraten oder aus dem Ruder zu laufen, und damit in die Rechte des einzelnen Staatsbürgers einzugreifen: auch staatliche Rechtsakte können rechtswidrig sein, wie etwa ein (individueller) Bescheid oder eine (generelle) Verordnung dem Gesetz widersprechen, beziehungsweise sogar Gesetze selbst verfassungswidrig sein können.

Eine wesentliche Facette der traditionellen Vorbehaltsaufgabe der Rechtsanwälte, der Vertretung vor Gerichten, stellt daher der Schutz des Einzelnen vor Übergriffen staatlicher Instanzen und die Wahrnehmung seiner Interessen im Verwaltungsverfahren, vor den Verwaltungsgerichten und den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof dar:

Dort wird geprüft, ob ein Fall vorliegt, in dem der Staat dem Individuum Unrecht getan hat – weil ja letzten Endes nicht der Staatsbürger für den Staat, sondern genau umgekehrt der Staat für den Staatsbürger da sein soll.

Damit ist aber auch schon...

...eine der wesentlichsten Funktionen der Anwaltschaft, ihre staatspolitische angesprochen, die auch in der geschichtlichen Vergangenheit immer wieder Totalitarismus und Verabsolutierung falscher Macht verhindert hat: Den Blick aufs Recht nicht aufs "Private" zu verkürzen, und auch die Bedeutung des "Öffentlichen" nie aus den Augen zu verlieren, stellt eine der Hauptaufgaben richtig verstandenen anwaltlichen Selbstverständnisses dar.

Genau deshalb war der Rechtsanwalt immer auch öffentliche Person, mit der Öffentlichkeit im Gespräch, nicht nur als einzelner oder als Kanzlei, wie die unsere, sondern auch als Standesorganisation und -vertretung in den Kammern, die immer wieder auch öffentlich Einfluss nehmen auf Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung.